Du kennst das auch von Matthea Harvey

Du kennst das auch
Gedichte Englisch-Deutsch. Aus dem amerikanischen Englisch von Uljana Wolf, Reihe Lyrik 18
ISBN/EAN: 9783937445427
Sprache: Deutsch
Umfang: 160 S.
Einband: kartoniertes Buch
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Matthea Harvey gehört mindestens seit ihrem dritten Gedichtband 'Modern Life' (Graywolf 2008) zu den wichtigsten Vertretern der jungen US-amerikanischen Lyrik. 'Modern Life', nominiert für den National Book Critics Circle Award 2008, ausgewählt als New York Times Notable Book und ausgezeichnet mit dem hochdotierten Kingsley Tufts Poetry Award, versammelt Prosagedichte und lyrische Kurzzeiler, die 'zu den atemberaubendsten Gedichten gehören, die über das derzeitige politische Klima Amerikas geschrieben worden sind', wie David Orr in der New York Times urteilte. 'Modern Life' ist ein post-katastrophisches Kompendium, das Zentauren, Hybride, Roboter, Soldaten, Zivilisten in einem ebenso bezaubernden wie verwunschenen Reigen versammelt - als halbierte, zersplitterte, verlorene Subjekte, die den Leser mit den Entscheidungen des postmodernen Menschen und deren Folgen konfrontieren. Und doch gelingt es Matthea Harvey, diese verstörende Rasanz und Brisanz unseres Lebens in eine besondere, geradezu vergnügliche Sprache zu übersetzen. Insbesondere im Prosagedicht verbindet sie Musikalität und bezwingenden Sprachwitz zu kleinen, narrativen Einheiten von großer lyrischer, zum Teil surrealer Dichte. Da werden Tiere halbiert und zu 'Katzenziegen' zusammengefügt, ein Ich leugnet die Erschaffung der 'Wurstblumen', deren Erfinder es doch ist - eine außer Rand und Band geratene Welt, in der die Errungenschaften der Technik durchschimmern in bizarren Experimenten, in der Zerstörung und Schöpfung unheimliche Synonyme geworden sind: 'Wir halbierten sie, weil es möglich war.' 'Harvey haftet fast etwas Marsianisches an', schrieb die Chicago Tribune. 'Ihre Brüche, Verdrehungen und Bizarrerien sind das Resultat von Erkundungstouren in die Fremdartigkeit unserer Empfindungen an sich.' In den beunruhigenden Gedichtzyklen The Future of Terror und Terror of the Future wird deutlich, dass dieses 'Marsianische' zugleich eine Position des Politischen ist. Die alphabetisch angelegten Gedichte (jedes folgt einer Wortliste von F bis T bzw. T bis F) entfalten Szenarien, die tief von den Ritualen der Angst und der Hoffnungslosigkeit im Amerika nach 9/11 geprägt sind - wahrgenommen durch ein surreales, poetisches Prisma, das diese Rituale geschickt zu hinterfragen weiß, die abstrakten, lähmenden Begriffe 'future' und 'terror' in elektrifizierende, irritierende Bilder überträgt und uns 'post 9/11' auf eine noch nie gesehene Weise nahebringt. Mit dem Band 'Du kennst das aus', der neben den Gedichten aus 'Modern Life' auch eine Auswahl aus Matthea Harveys früherem Gedichtband 'Sad Little Breathing Machine' enthält, können deutsche Leser erstmals durch Harveys Prisma schauen - nicht nur auf Amerika, vielmehr auf die eigene Gegenwart und auf die Möglichkeiten von Gedichten, als hellsichtige Hybride diese Gegenwart politisch bewusst und poetisch innovativ zu durchleuchten. Uljana Wolf
Matthea Harvey, geboren 1973, veröffentlichte die Gedichtbände 'Pity the Bathtub Its Forced Embrace of the Human Form', Alice James Books 2000, und 'Sad Little Breathing Machine', Graywolf Press 2004. Ihr dritter Gedichtband 'Modern Life', Graywolf Press 2007, war ein New York Times Notable Book, stand auf der Shortlist des National Book Critics Circle Award und wurde mit dem mit 100.000 US-Dollar dotierten Kingsley Tufts Poetry Award ausgezeichnet. Ihr erstes Kinderbuch 'The Little General and the Giant Snowflake', illustriert von Elizabeth Zechel, erschien 2009 bei Tin House Books und in deutscher Übersetzung 2008 bei luxbooks. Matthea Harvey ist Redakteurin der Zeitschriften jubilat, Meatpaper und BOMB. Sie unterrichtet Dichtung am Sarah Lawrence College und lebt in Brooklyn.
THE FUTURE OF TERROR / 11 Aus dem Giebelfenster beschossen wir was übrig war: Gargylen und Gartenzwerge. Ich traf versehentlich den Generator, was schwierig zu verbergen wäre im Rapport, bloß schrieben wir keine Rapporte mehr. Wir aßen unsere Grütze und sahen zu, wie Hagel unser Heu zerstörte, unsere Ernte. Ich sah ein Handtuch am Nagel hängen und stahl es ohne einen Hauch von Ironie. Hier ist meine Hypothese: Wir waren irreversibel im Arsch. Wir hatten alle Ingenieure gekillt, alle Komiker, just als wir Ideen und Juxe am meisten nötig hatten. Das Lüftchen vom See war allenfalls lähmend, lüpfte kein Blatt. Als der Tag länger wurde, war klar: Wir waren die Letzten. Die Luftbrücke kam nicht zustande. Ich hatte nur Illusionen übrig und mochte doch nicht übersehen, dass es kein 'wir' gab: Du warst nur eine Puppe, ich flog mutterseelenallein. Ich dachte an Vögel, die mitten in der Luft umkehren können, an Nacktschnecken, die nie ahnen, dass sie kein Haus haben. Ich aß die letzte Lakritze - auf der Packung stand einsame Spitze. Eine olle Patrone war mir geblieben. Ich hüllte mich in einen Quilt. Ich polierte meine Rennschuhe. So lebt man also in der Präsenz.