Tod auf der Fashion Week von Hans-Hermann Sprado

Tod auf der Fashion Week
Subkutan 2
ISBN/EAN: 9783932927393
Sprache: Deutsch
Umfang: 384 S.
Einband: gebundenes Buch
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Hans-Hermann Sprado, 1956 in Bassum geboren, volontierte beim Bremer Weser Kurier und arbeitete als Redakteur bei Bunte und als Chefreporter bei Bild. Er war Chefredakteur vom P.M.-Magazin und von Marie Claire sowie lange Herausgeber der "P.M.-Gruppe". Seine Reisen führten ihn in mehr als 30 Länder. Hans-Hermann Sprado lebte mit seiner Familie in Ebersberg bei München und bei Bremen. 2014 verstarb er viel zu früh.
1. Sie fiel. Es war der vierte Tag der New Yorker Fashion Week, ein warmer Abend im September. Der Geruch des nahenden Herbstes lag schon in der Luft. Einige Kilometer südlich der weißen Zelte im Bryant Park, in denen Designer aus der ganzen Welt ihre Frühjahrs-Kollektionen präsentierten, stürzte das deutsche Model Anna Hansen aus ihrem Penthouse-Apartment im siebten Stock eines Brownstone-Hauses fünfzehn Meter in die Tiefe, vorbei an roten Ziegelsteinen, schmiedeeisernen Feuertreppen, geschlossenen Jalousien und Blumen auf Fensterbänken. Sie fiel lautlos und schnell. Eine Sekunde später schlug ihr Körper auf den aufgeheizten Fußweg der Prince Street und blieb, halb nackt und seltsam verrenkt, neben einem zertretenen Starbuck-Kaffeebecher liegen. Schnell bildete sich eine Blutlache neben ihrem Kopf. Das Blut lief über die Steine an ihrem hoch gerutschten T-Shirt und den entblößten Brüsten entlang zur Hüfte hinunter, erst am Gürtelsaum der Jeans hielt das Rinnsal inne. Ein letztes Mal war die Frau mit dem Fünf-Sterne-Deluxe-Lächeln den Blicken der Menschen preisgegeben. Von allen Seiten eilten sie heran und starrten in das ungeschminkte Gesicht mit den großen braunen Augen, die nun weit offen standen. Dem Gesetz der Schwerkraft folgend, dreht sich ein Körper beim Fall aus großer Höhe mit dem Schwerpunkt nach unten. Wenn es sich dabei um einen menschlichen Körper handelt, prallt er zuerst mit dem Becken und dem Rücken auf den Boden, dann mit den Gliedmaßen. So geschah es, dass zwar der hintere Teil von Anna Hansens Schädel zertrümmert wurde. Aber ihr berühmtes Gesicht, das auf mehr als 3000 Magazin-Cover in Frankreich, Italien, Deutschland, Japan, England und den USA zu sehen war, blieb unversehrt. Hier kommen die empirischen Daten der Polizei ins Spiel, sie belegen eindrucksvoll eine zwingende Vermutung: Wenn sich jemand durch einen Sprung aus dem Fenster das Leben nehmen will, schlägt er stets ein gutes Stück vom Haus entfernt auf - eben weil er gesprungen ist. Dagegen landet das Opfer eines Verbrechens immer nahe der Wand, weil es versucht haben wird, den Sturz zu verhindern. Der Körper von Anna Hansen lag auf der imaginären Linie, die das Eine vom Anderen trennt. 2. Das ist nicht gut, dachte Mammen, so wird das nichts. Er ruckelte in seinem Sitz herum, die Arme auf die Lehne gepresst. Im Ambassador Theater am Times Square schleppte sich das Musical "Chicago" in die zweite Stunde. Mammen, der eigentlich nichts für Musicals übrig hatte, aber trotzdem hingegangen war, weil es im Kino keinen Film gab, der ihn interessierte, hatte sich bereits vor einer Weile ausgeblendet. Die Geschichte des Chormädchens Roxy Hart, das seinen Liebhaber umbringt und danach die große Karriere macht, langweilte ihn über die Maßen. Müde blinzelte er einem jungen Mädchen im rosa Puffärmelkleid zu, das sich empört zu ihm umdrehte, denn wieder einmal hatte er zu laut gegähnt. Die Haare des Mädchens waren zu einem zuckerwattigen Gebirge aufgetufft, weshalb er bei ihrem Anblick an das Matterhorn denken musste. Mit mir nicht, dachte Mammen, in der Pause bin ich weg. Muss ich mir nicht antun, dachte er, wirklich nicht. Da geh ich mal lieber ein Bier trinken, und wenn das zwei werden, ist das auch in Ordnung nach diesem Tag, dachte er. Das habe ich mir verdient, auf jeden Fall. Die letzte Nacht hatte sich Mammen auf einer schäbigen unbequemen Holzbank im Nachtgericht von Little Italy herumgedrückt. Wegen chronischer Überlastung der Tagessschicht werden hier jede Nacht von 18 Uhr bis in die frühen Morgenstunden Kleinkriminelle im Schnellverfahren abgeurteilt. Ruck zuck! geht das: 100 Dollar hier, 200 Dollar da. Zack! zwei Monate Sozialdienst. Tun Sie das nie wieder. Und jetzt ab nach Hause. Eine kleine Puerto Ricanerin war da gewesen, die sich beim Klauen von zwei Bananen und einer Tüte Kartoffelchips erwischen ließ. Ein fröhlicher Junkie, der abgehauen war, als er das Taxi bezahlen sollte, mit dem er von Brooklyn bis irgendwo in die Neunziger