Hardenberg von Ingo Hermann

Hardenberg
Der Reformkanzler
ISBN/EAN: 9783886807291
Sprache: Deutsch
Umfang: 448 S., 45 s/w Fotos
Einband: Leinen
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"Stand lange im Schatten Steins, der große Reformer Hardenberg. Einer der wenigen Lebemänner, die das karge Preußen gehabt hat. Hier wird ihm erstmals in vollem Umfang Gerechtigkeit und Einfühlung zuteil." Tilman Krause, DIE WELT, 5. Juli 2003
Ingo Hermann ist Träger des Deutschen Journalistenpreises und wurde mehrfach mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Er war Leiter der ZDF-Redaktion Kultur, Bildung und Gesellschaft und hat als Hörfunk-, Fernseh- und Buchautor zahlreiche Arbeiten zu historischen, philosophischen und bildungspolitischen Themen veröffentlicht, zuletzt das Taschenbuch "Preußen".
Am Dorfanger von Neuhardenberg im Oderland steht die Patronatskirche der alten Herrschaft Neuhardenberg. Nach der Wende von 1989 wurde sie restauriert. Sie verbindet das Schloss mit dem Dorf und fügt beides zu einem charakteristischen Ensemble zusammen. Frau Busch, eine Mitarbeiterin des Heimatvereins, schließt die Tür auf und erzählt, was sie weiß. Über den großen Brand im Jahre 1801. Den Wiederaufbau durch Schinkel. Die Arbeiten seit der Wende. Dann fragt sie: "Wollen Sie sein Herz sehen?" "Sein Herz" ist das Herz des Staatskanzlers Karl August Fürst von Hardenberg. Es liegt unter einer Glasglocke in einer gemauerten, von einer kleinen Holztür verschlossenen Nische in der Rückwand des Altars. Wenn man die Tür öffnet, fällt elektrisches Licht auf den faustgroßen Herzmuskel. Die Aorta, die Venen und die Arterien sind, noch erkennbar, mit einem Hanftau abgebunden. Das konservierte Herz wirkt steinern, obgleich es ganz leicht ist. Es ist das Herz eines Menschen, der vor fast zwei Jahrhunderten gestorben ist. In der Erinnerung der Zeitgenossen und der Nachwelt war Karl August von Hardenberg ein stattlicher Mann, hoch gewachsen und von anmutigen Bewegungen. Ernst Moritz Arndt schildert ihn als einen Mann mit einem schönen Kopf und leuchtenden blauen Augen. Die zeitgenössischen Porträts, etwa das Tischbein zugeschriebene oder das von Lawrence, zeigen einen aristokratischen Kopf mit offenem, der Außenwelt zugewandtem Blick. Selbstbewusst strahlen seine Augen Gelassenheit, Wohlwollen und Freundlichkeit aus. Seine Züge verraten waches Interesse an allem, was um ihn herum vorging. Er wirkt bäuerlich fest und stark. Sein Mund lässt Sinnlichkeit, Freude am Genießen und die Neigung zur Ironie, aber auch die Offenheit für Spaß und Humor erkennen. Mehrere Zeitgenossen, wie Amalie von Beguelin oder Wilhelm Dorow, rühmen die natürliche Vornehmheit seines Auftretens mit folgender Gedankenfigur: Selbst wenn er im Schurzfell und in den Zeichen eines Handwerkers ins Zimmer träte oder beim Diner, allen völlig unbekannt, als Diener hinter dem Stuhl eines geladenen Gastes stünde, würde man ihn doch als Edelmann erkennen, würde aufstehen, sich verneigen und ihn bitten, an der Tafel Platz zu nehmen. Der Berliner Bischof Friedrich Eylert beschreibt Hardenbergs Stimme: sonor und wohlklingend, die Sprache langsam, ruhig, bedächtig und verständlich - aber keineswegs imponierend diktatorisch, und gehalten im Tone der Konversation. Allgemein war wohl das Empfinden, dass er ein in sich ruhender Mensch war, des s en Inneres und Äußeres in harmonischer Übereinstimmung standen und dessen Sinn für Maß und Schönheit eine Eleganz des Geistes und eine Verletzbarkeit des Herzens offenbarten, wie man sie eher bei einem Künstler als bei einem aristokratischen homo politicus der Aufklärungszeit erwarten würde. Es versteht sich von selbst, dass ein solcher von Natur und Schicksal begünstigter Mann auch beneidet und angefeindet wurde und dass Neid und Missgunst genau die Eigenschaften seines Charakters ins Negative wendeten, die seine Würde und seinen Glanz begründeten. Aus der Selbstsicherheit wurde im Urteil der Gegner Arroganz, aus der Geschmeidigkeit Opportunismus, aus der Flexibilität Verschlagenheit. Keiner seiner Vorzüge blieb von Herabsetzung verschont. Und selbst ein großer Geist wie Karl Freiherr vom Stein, den Golo Mann doch als einen "starken, stolzen, warmherzigen und guten Mann" charakterisiert, war sich nicht zu schade, Hardenbergs berufliches und privates Profil, seine diplomatische Geschicklichkeit und seine heitere Lebens- und Liebeslust mit der Formel zu denunzieren, er sei "halb Fuchs, halb Bock". Das Bild, das der Freiherr vom Stein sich von Karl August von Hardenberg gemacht hat, ist ein in schrägen Konturen gezeichnetes, dunkles und zugleich schrilles Gemälde, gemischt aus Enttäuschung und Verachtung und durchsetzt von Anziehung und Abstoßung. Steins Urteil hat ohne Zweifel die Meinung der Nachwelt über Hardenberg eingefärbt und dafür gesor