Der König der Schnorrer von Israel Zangwill

Der König der Schnorrer
Bibliothek der Weltliteratur
ISBN/EAN: 9783717521044
Sprache: Deutsch
Umfang: 256 S.
Einband: Leinen
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Ein Gipfeltreffen von jüdischem Witz und britischem HumorGeben ist seliger denn Nehmen. Nicht so für den König der Schnorrer. Der macht seinem Namen alle Ehre. Israel Zangwills Londoner Milieustudie von 1894 ist voll subtiler Situationskomik und funkelnder Pointen und zählt zu den großen unterhaltsamen Klassikern der englischen Literatur. Manasseh ist nicht irgendein dahergelaufener Bettler und Almosenempfänger, der geduldig die Hand hinstreckt, bis sich jemand seiner erbarmen möge. Menasseh ist der König der Schnorrer, und er weiß, was er seinem Ruf schuldig ist. So darf sich die sephardische Gemeinde Londons glücklich schätzen, ihn in ihrer Mitte zu haben, gehört doch Almosengeben zu den nobelsten Pflichten jedes gläubigen Juden. Mit der Würde eines Aristokraten, mit der Gewitztheit des Feilschers und dem Spürsinn des perfekten Menschenkenners ist Manasseh stets zur Stelle, wenn es gilt, jemanden zum (freiwilligen oder auch unfreiwilligen) Wohltäter zu machen. Ob Dandys oder Geizkragen, Spekulanten oder Würdenträger, in ihm finden sie alle ihren Meister. Selbst Jankele, Nachwuchshoffnung des Metiers und Anwärter auf die Position des Schwiegersohns, bekommt von Manasseh noch so manche Lektion in der Kunst stilvollen Schnorrens erteilt. Israel Zangwills (1864-1926) historisches Sittenbild aus dem Ghetto des 18. Jahrhunderts zählt zu den unterhaltsamsten Klassikern der englischen Literatur. Mit seiner Hauptfigur hat der Autor ein echtes Original geschaffen, in dem die versunkene Welt des traditionsgebundenen Judentums aufersteht. Augenzwinkernd wird hier nicht nur der Widerstreit zwischen Sein und Haben aufs Korn genommen, sondern auch der himmelweite Unterschied zwischen echtem Opfersinn und selbstverliebter Gönnerhaftigkeit.
Israel Zangwill (1864-1926) wurde als Sohn russischer Einwanderer in Bristol geboren und ging in London zur Schule. Seine Schriftstellerkarriere begann er mit humorvollen Kurzgeschichten über seine damalige Lebenswelt, in denen sich traditionelles Judentum und moderne Welt anachronistisch gegenüberstehen.
1. KAPITEL In dem berichtet wird, wie der boshafte Wohltäter zum Fischausträger erniedrigt wurde.Zur Zeit, als Lord George Gordon zum Judentum übertrat und in den Verdacht des Irrsinns geriet; als England, aus Ehrfurcht vor den Weissagungen, seinen Juden jedes Bürgerrecht außer dem des Steuerzahlens verweigerte; als das Gentleman's Magazine böse Worte für den ungläubigen Fremdling fand; als jüdische Ehen für ungültig und testamentarische Legate zugunsten hebräischer Lehranstalten für null und nichtig erklärt wurden; als man einen Propheten, der gewagt hätte, Primrose Day zu prophezeien, in Eisen gelegt hätte, obzwar Mr. Pitt Benjamin Goldsmids Meinung über die Auslandanleihen sein privates Ohr lieh - zu jener Zeit, da Tewele Schiff Rabbi in Israel war, da Dr. de Falk, der Meister des Tetragrammaton, als Heiliger und kabbalistischer Magier in Wellclose Square wirkte und der Komponist von "Nelsons Tod" als Chorknabe in der Großen Synagoge - da trat Joseph Grobstock, eine Stütze der letzteren, eines schönen Nachmittags als einer der letzten im Strom der Andächtigen in den Frühlingssonnenschein hinaus, einen großen Beutel aus Segeltuch in der Hand und den Schalk im Auge.Man hatte einen außerordentlichen Bitt- und Dankgottesdienst für die glückliche Genesung Seiner Majestät abgehalten, und der Kantor hatte sich mit klangvoller Stimme für den königlichen George und "unsere allerliebenswürdigste Königin Charlotte" bei der Vorsehung ins Zeug gelegt. Die Gemeinde war zahlreich und prominent vertreten - in weitaus höherem Maß, als wenn es bloß um den himmlischen Herrscher ging -, und so drängten sich auch im Hof eine ganze Reihe von Schnorrern, die auf das Erscheinen des Publikums warteten, wie etwa das Vestibül des Opernhauses von wartenden Dienern gesäumt ist.Es war eine buntgemischte Schar mit wirren Bärten und langen Haaren, die sich zu Locken kräuselten, wenn es auch nicht die von der Mode vorgeschriebenen Locken waren. Der Tuchkaftan des deutschen Ghettos war allerdings in den meisten Fällen gegen die Kniehose und die vielknöpfige Jacke des Londoners vertauscht; wenn die Kleider, die man vom Kontinent mitgebracht hat, abgetragen sind, muß man wohl oder übel die Tracht der Höherstehenden anlegen oder sich zum Kauf neuer bequemen. Viele trugen Wanderstäbe und hatten ihre Lenden mit bunten Tüchern gegürtet, als wären sie jeden Augenblick bereit, aus dem Lande der Knechtschaft in die Heimat zurückzukehren. Ihr jammervolles Aussehen kam fast ausschließlich durch mangelhaftes Waschen zustande - natürliche oder durch Unfälle erworbene Mißbildungen trugen nur wenig dazu bei. Die allerwenigsten konnten sich mit körperlichen Übeln brüsten, und kein einziger stellte offene Wunden oder gräßliche Verwachsungen zur Schau, wie es die aussätzigen Bettler in Italien oder die Krüppel von Konstantinopel tun. So krude Methoden sind in der höheren Kunst des Schnorrens verpönt. Ein grüner Augenschirm mochte auf eine Sehschwäche hindeuten, doch der stockblinde Mann trug kein prahlerisches Plakat - sein Leiden war eine langjährige, dem Publikum wohlbekannte Tatsache, die dem Betroffenen einen bestimmten Status in der Gemeinde sicherte. Er war kein anonymes Teilchen, wie es, dem Zufall preisgegeben, unstet und eingeschüchtert durch die Christenheit dahintreibt. Am seltensten war in diesem Schaugepränge jüdischer Armut der Anblick eines hohlen Hosenbeins oder leeren Ärmels wie auch des hölzernen Glieds, das die beiden auszufüllen und marktschreierisch aus ihnen herauszuragen pflegt.Sobald die Schnorrer Joseph Grobstock sichteten, fielen sie unter laut schallenden Segenswünschen über ihn her, während er, keineswegs erstaunt, aber mit wichtigtuerischer Miene, durch die Segnungen hindurchsegelte und der Schalk in seinem Auge zu einem boshaften Funkeln wurde. Außerhalb des Gittertors, wo die Menge sich am dichtesten scharte und einige elegante Kabrioletts, die Gläubige aus dem fernen Hackney hergebracht hatten, sich zum Wegfahren anschickten, blieb er, von lau