Zeiten des Aufruhrs von Richard Yates

Zeiten des Aufruhrs
Bibliothek der Weltliteratur
ISBN/EAN: 9783717520863
Sprache: Deutsch
Umfang: 576 S.
Einband: Leinen
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«Richard Yates ist ein Ästhet des Scheiterns. Eine große Entdeckung.» Maike Albath, RBB Kulturradio «Eines der besten amerikanischen Werke des 20. Jahrhunderts: glasklar die Sprache, perfekt die Zeichnung jeder Haupt- und Nebenfigur, ein unerbittlicher Spiegel der Fünfzigerjahre, grausame Demontage der Lebensweisen in der Suburbia der Ostküste.» Die Presse «Dieser Roman trifft beim Erscheinen ins Herz der Gesellschaft, er ist präzis im Detail, aber nicht so spöttisch wie Updike und nicht so fatalistisch-lakonisch wie Carver.» Michael Schmitt, Neue Zürcher Zeitung
Richard Yates wurde 1926 in Yonkers, New York, geboren und lebte bis zu seinem Tod 1992 in Alabama. Obwohl seine Werke zu Lebzeiten kaum Beachtung fanden, gehören sie heute zum Wichtigsten, was die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Wie Ernest Hemingway prägte Richard Yates eine Generation von Schriftstellern. Die DVA publiziert Yates' Gesamtwerk auf Deutsch, zuletzt erschien der Roman "Eine strahlende Zukunft". Das Debüt "Zeiten des Aufruhrs" wurde 2009 mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in den Hauptrollen von Regisseur Sam Mendes verfilmt. "Cold Spring Harbor", zuerst veröffentlicht 1986, ist Yates' letzter vollendeter Roman.
Als die letzten Geräusche der Generalprobe verklungen waren, blieben die Laurel Players noch eine Weile stumm und hilflos stehen und schauten blinzelnd über das Rampenlicht in den leeren Zuschauerraum. Sie wagten kaum zu atmen, als die gedrungene Gestalt des Regisseurs zwischen den verwaisten Sitzreihen auftauchte und gemessen zu ihnen auf die Bühne trat; scheppernd zog er eine Trittleiter aus der Kulisse, erstieg sie auf halbe Höhe und wandte sich den Schauspielern zu, um ihnen unter mehrfachem Räuspern zu sagen, daß sie eine verdammt talentierte Truppe seien, eine wundervolle Truppe, mit der sich arbeiten lasse. "Es war ja nicht grade leicht", sagte er mit aufblitzenden Brillengläsern. "Wir hatten hier eine Menge Probleme, und ehrlich gesagt, hatte ich mich schon mehr oder weniger damit abgefunden, meine Erwartungen zurückschrauben zu müssen. Schön, nun hört mal zu. Das klingt jetzt vielleicht abgedroschen, aber irgendwas ist hier heute abend passiert. Als ich heute abend hier gesessen habe, ist mir plötzlich zutiefst klar geworden, daß ihr zum erstenmal mit ganzem Herzen dabei wart." Er legte die rechte Hand mit gespreizten Fingern auf die Brusttasche seines Hemds, um zu zeigen, was für ein einfaches, greifbares Ding das Herz war, dann ballte er die Hand zur Faust, bewegte sie in einer langen Kunstpause bedächtig und stumm hin und her, kniff ein Auge zu und formte die feuchte Unterlippe zu einem triumphierenden, stolzen Ausdruck. "Morgen abend noch mal so", sagte er, "und wir liefern eine Wahnsinnsvorstellung ab." Vor Erleichterung hätten sie heulen können. Statt dessen brachen sie in Hurrarufe und Gelächter aus, schüttelten einander die Hände und küßten sich, einer ging einen Kasten Bier holen, und wenig später scharten sie sich im Parkett ums Klavier und sangen Lieder, bis man sich schließlich einhellig darauf einigte, nun lieber Schluß zu machen und sich einem erholsamen Schlaf zu überlassen. "Bis morgen!" riefen sie, glücklich wie Kinder; auf der Heimfahrt im Mondschein kurbelten sie die Fenster ihrer Wagen hinunter und ließen die Luft mit ihren erquickenden Düften nach Lehmerde und frischen Blüten herein. Für manche der Laurel Players war es das erste Mal, daß sie die Ankunft des Frühlings bewußt zur Kenntnis nahmen. Das war im Jahr 1955, und der Ort lag in Westconnecticut, wo man drei inzwischen gewachsene Siedlungen unlängst an einen breiten, tosenden Highway, die sogenannte Route Twelve, angebunden hatte. Die Laurel Players waren Laiendarsteller, eine durchaus ansehnliche und ernsthafte, sorgsam aus jüngeren Erwachsenen der drei Ortschaften zusammengestellte Truppe, und dies sollte ihr erster Auftritt werden. Den ganzen Winter über hatte man sich in den Wohnzimmern der Mitspieler zu begeisterten Gesprächen über Ibsen, Shaw und O'Neill getroffen, und in einer Abstimmung hatte sich eine praktisch denkende Mehrheit schließlich für den "Versteinerten Wald" entschieden; die Rollenverteilung war vorab festgelegt worden, und alle konnten spüren, daß ihr Eifer mit jeder Woche zunahm. Insgeheim mochten sie ihren Regisseur für einen komischen kleinen Vogel halten (was er in gewisser Hinsicht auch war - er konnte offenbar nur in tiefernstem Ton reden und beendete seine Sätze oft mit einem leichten Kopfschütteln, das seine Wangen in Bewegung setzte), aber sie hatten ihn gern, respektierten ihn und glaubten fest an nahezu alles, was er äußerte. "Jedes Stück verdient, daß der Schauspieler sein Bestes gibt", hatte er ihnen einmal gesagt, und ein andermal: "Denkt immer dran. Wir führen hier nicht bloß ein Stück auf. Wir gründen ein öffentliches Theater, und das ist schließlich was ganz Besonderes." Das Problem war, daß sie von Anfang an befürchteten, sich zu blamieren, und diese Furcht war, weil sie sie nicht zugeben wollten, noch schlimmer geworden. Die Proben fanden zunächst samstags statt - immer, so schien es, an jenen windstillen Februar- oder Märznachmittagen, wenn der Himmel weiß und die Bäume schwarz erscheinen und die