Deutschlands Frühgeschichte von Friedrich Prinz

Deutschlands Frühgeschichte
Römer, Kelten und Germanen
ISBN/EAN: 9783608943689
Sprache: Deutsch
Umfang: 448 S.
Einband: gebundenes Buch
Auf Wunschliste
Auf der Grundlage neuester Erkenntnisse und archäologischer Zeugnisse entwirft Friedrich Prinz ein Kultur, Christentum und Völkerleben umfassendes Panorama der 'deutschen' Geschichte von der Spätantike bis ins frühe Mittelalter. Es gehört zu den faszinierendsten Phänomenen europäischer Kultur, daß sie aus dem Chaos des Zusammenbruchs des weströmischen Reiches in einem Jahrhunderte währenden Prozeß entstanden ist. Gerade die Völker - Germanen und Slawen -, die zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert das Römische Reich überrannten und in eine schwere Krise stürzten, wurden die Träger der mittelalterlichen christlichen Kultur. So erreichten durch Kirche und Mönchtum zentrale antike Kulturtechniken, Literatur und Kunst die sich ausformende Welt der germanischen und dann der slawischen Völker. Neben den Organisationsformen der früheuropäischen Gesellschaft (Königtum, Adel) und den Rechtsordnungen liegt ein weiterer Schwerpunkt der Darstellung auf den konkreten Lebensverhältnissen (Sklaven, Arme, Familie, Ehe) sowie Wirtschaft und Handel. Friedrich Prinz 'erreicht eine Leserschaft', schreibt Ulrich Raulff, 'wie sie nur wenigen Historikern vergönnt ist'.
Friedrich Prinz, geb. am 17.11.1928, Historiker, lehrte Mittelalterliche Geschichte an den Universitäten Saarbrücken und München und ist durch zahlreiche Bücher und Aufsätze als einer der bedeutendsten Frühmittelalterforscher der Gegenwart bekanntgeworden. Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Geschichte Bayerns und der Böhmischen Länder. Der Autor ist auch mit einer Reihe von Fernseh- und Rundfunksendungen hervorgetreten. Friedrich Prinz ist am 27.9.2003 verstorben.
Anfänge und Rückschläge in der Völkerwanderungsepoche Die konstante, verändernde wie bewegende Kraft und eine unabdingbare Voraussetzung für die europäische Völkerwelt wurde das Christentum in seiner geschichtlichen Gestalt, der Kirche, wie sie sich seit Jahrhunderten erst abseits oder gar gegen den Staat und dann im engen Verbund mit ihm in der Spätantike als Reichskirche entwickelt hatte. Von ihr, die sich seit der konstantinischen Wende organisatorisch eng an die diokletianische Reichsstruktur angeschlossen hatte und deren Häupter die Bischöfe in den civitates waren, ging sowohl die Christianisierung des flachen Landes innerhalb des Imperiums aus als auch die missionarische Arbeit unter den germanischen und slawischen Völkern auf dem wie außerhalb des Reichsbodens. Noch ehe sich Germanen und Slawen in Teilbereichen des Imperiums endgültig festsetzen konnten, hatte sich die Kirche zum einen vom regionalen "jüdischen Mutterboden" (T. Schieffer) gelöst und zum anderen innerhalb der hellenistisch-römischen Hochkultur und teilweise mit deren philosophischem Rüstzeug nach schweren dogmatischen Auseinandersetzungen ein eigenes Lehrgebäude errichtet. Das entscheidende 4. und die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts brachten mit den großen Reichskonzilien trotz immer wieder auftretender Spaltungen die organisatorisch und dogmatisch gefestigte Einheit der Kirche, die nicht zuletzt auch ein Werk der Kaiser seit Konstantin dem Großen gewesen ist. Gleichzeitig stabilisierte sich die Rolle der Kirche im Staate. Die Bischöfe wurden auch politische Funktionsträger, Staat und Kirche wuchsen schon in der Spätantike auf vielen Ebenen zusammen, und im 5. Jahrhundert blieb die Kirchenorganisation in weiten Regionen des Imperiums der einzige Teil römischer Verwaltung, der sich auch unter den radikal veränderten Verhältnissen der Völkerwanderungsepoche behaupten konnte. Es waren vor allem die Bistümer, die trotz regionaler substantieller Einbußen das stärkste Kontinuitätselement zwischen Antike und Mittelalter wurden. Seit das Christentum in den spätantiken civitates die vorherrschende und dann auch die alleinige Religion geworden war, kam es zu Wechselwirkungen zwischen Herrschaft und Kult, die dem Bischof von Anfang an eine Sonderstellung im städtischen Leben sicherten. Äußeres Zeichen dieser Entwicklung war in der Regel, daß das Patrozinium einer Kirche - entweder der Bischofskirche selbst oder einer Kirche mit Märtyrergrab - zu einem sakralen Stadtpatronat wurde: Der heiligmäßige Stadtpatron wurde gleichsam der geistliche Schutz- und Stadtherr, ein Phänomen, das es schon in der paganen Stadtkultur gegeben hatte. Durch den Heiligen und Patronus, etwa St. Petronius in Bologna oder St. Eucharius in Trier, legitimierte sich auch die Stadtherrschaft des Bischofs, weil letzterer für dessen Kult verantwortlich war und damit zum Mittler zwischen dem Schutzheiligen und der Civitas wurde. Hatte aber eine Stadt keinen originären Heiligen oder Blutzeugen der Verfolgungszeit, dann mußte auf andere Weise Ersatz geschaffen werden. Nach dem Vorbild des offiziellen Kaiserempfangs (adventus) suchte man von anderen Orten wirkkräftige Reliquien in die Stadt einzuholen und einen eigenen Stadtheiligenkult ins Leben zu rufen: so im 4. Jahrhundert die Bischöfe Victricius in Rouen und besonders Ambrosius mit der Erhebung der Reliquien von Gervasius und Protasius in Mailand. Seit dem 4. Jahrhundert signalisierten die feierlichen Reliquientranslationen und -erhebungen zugleich die Entstehung einer christlichen Elite von Bischöfen. Sehr deutlich wird der Zusammenhang zwischen politischer und kirchlicher Macht bei Papst Damasus I. (366-384), der in den Katakomben Roms nicht nur Märtyrergräber entdeckte, sondern sich überdies auch der persönlichen Verwandtschaft mit diesen Glaubenszeugen rühmen konnte. Das spätantike und merowingische Gallien bietet eine Fülle ähnlicher Belege. Die Verchristlichung der spätantiken Städte läßt sich auch an der steigenden Zahl paganer Tempel ablesen, die zu Kirchen umgewidmet bzw. umgebaut wurden. Im lateinischen Westen erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt im 6. Jahrhundert. Für die bischöfliche Stadtherrschaft der Spätantike wie des Frühmittelalters bedeutete die Einholung und feierliche Erhebung von Reliquien zugleich die festliche religiöse Integration (concordia, consensus) der gesamten Stadtbevölkerung in all ihren ständischen Gliederungen in die kirchliche Stadtherrschaft. Die Kehrseite dieser christlichen Sozialisation der städtischen Bevölkerung durch den bischöflich geförderten Heiligenkult in ihren Mauern war allerdings, daß das Christentum lange Zeit eine städtische, von der Oberschicht maßgeblich getragene Religion gewesen ist und daß erst das frühmittelalterliche Mönchtum missionarisch das flache Land durchdrungen hat. Die christliche Sozialisation der städtischen Bevölkerung in der Spätantike gewann an Kraft und zwingender Gewalt, seit Kaiser Konstantin der Große die Bischöfe auch für staatliche Aufgaben heranzog und damit der episcopus eine zunehmend politische Figur der Gesellschaft wurde. Nunmehr konnte in weit effektiverer Weise gegen das Heidentum wie gegen Häretiker und Juden vorgegangen werden.
Krise und Neubeginn