Agon und Ares von Ernst Strouhal

Agon und Ares
Der Krieg und die Spiele, Schauplätze der Evidenz 3
ISBN/EAN: 9783593505633
Sprache: Deutsch
Umfang: 397 S., zahlr. farbige Abbildungen
Einband: Paperback
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Vom Zinnsoldat zu Call of Duty Kriegsspiele sind Echo wie Lautsprecher von Kriegsbegeisterung und -hetze, sie erzählen ein dunkles, bislang kaum bekanntes Kapitel der materiellen Kultur: Ritterburgen und Belagerungsspiele, Holzschwerter und Gewehrattrappen bedienten seit Jahrhunderten puerile Phantasien, ebenso die unzähligen Jeux de la Guerre, Games of Bombardement und frühen Kriegssimulationen, die in der Offizierausbildung zum Einsatz kamen. Ähnlich wie Literatur, Plakat und Film doch auf sehr spezielle Weise dienten auch Spiele politischer Propaganda: Je näher der Krieg rückte, desto mehr wurde in den Kinderzimmern aufgerüstet, das Publikum auf Vaterlandstreue eingeschworen. In diesem Band widmen sich international bekannte Spieleforscher dem Verhältnis von Kriegspropaganda und Spiel. Sie analysieren militärische Gesellschaftsspiele von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart und machen - in einem umfangreichen Bildteil - seltene Spiele und ihre Regeln erstmals zugänglich. Angesichts zunehmender Virtualisierung und Gamifizierung von Krieg erscheint das Thema heute aktueller denn je. Mit Beiträgen von Franz Ablinger, Philipp Bojahr, Gejus van Diggele, Mathias Fuchs, Stephan Günzel, Manfred J. Holler, Margarete Jahrmann, Larisa Koèubej, Helmut Lethen, Thomas Macho, Lydia Mischkulnig, Rolf F. Nohr, Ulrich Schädler, Liddy Scheffknecht, Adrian Seville, Ernst Strouhal und David Tartakover.
Ernst Strouhal, ist außerordentlicher Professor an der Universität für angewandte Kunst Wien. Er ist Autor, Publizist und Kurator von Ausstellungen. 2010 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik. Zuletzt erschien von ihm 'Die Welt im Spiel. Atlas der spielbaren Landkarten' (2015).
Einleitung Ernst Strouhal I Der Krieg, der Vater aller Dinge, gebiert Monstren - darunter Menschen und Spiele. Von allen grauenvollen Figuren im Pandämonium von Karl Kraus' Letzten Tagen der Menschheit ist der Volksschullehrer Zehetbauer wohl eine der grauenvollsten. Im ersten Akt empfiehlt der kriegsbegeisterte Lehrer den Kindern, sich "zur Belohnung für Fleiß und gute Sitten" das Spiel Russentod oder Wir spielen Weltkrieg, ein Rollenspielbuch zum Vorlesen, zu wünschen. Nichts ist erfunden: 1914 war tatsächlich der Band Wir spielen Weltkrieg! Ein zeitgemäßes Bilderbuch für unsere Kleinen von Ernst Kutzer und Armin Brunner in Wien erschienen. Eine kleine Kinderschar und der zum Kriegshund avancierte Caro ziehen unerschrocken in den Krieg, das Kinderzimmer verwandelt sich Bild für Bild in ein Schlachtfeld, eine Nähmaschine wird zum Maschinengewehr. Im selben Jahr hatte der Spieleverlag Josef Scholz in Mainz Feuernde Mörserbatterie auf den Markt gebracht. Das "zeitgemäße Gesellschaftsspiel für Jung und Alt" war eine Feierstunde der Artillerie: Auf dem Spielbrett waren Kanonen in Aktion, die eine Festung unter Beschuss nehmen und zerstören sollen. Je näher der Krieg rückte, desto stärker wurde in den Kinderzimmern aufgerüstet. Zusehends wurde das Publikum auf Vaterlandstreue eingeschworen, Feindbilder wurden in den Erzählungen der Gesellschaftsspiele konstruiert und durch karikatureske Grafiken eingeprägt. Die politische Indienstnahme der Spielwelten betraf alle Genres des Spiels. Aufstell- und Verwandlungsspiele ästhetisierten das Kriegsgeschehen, Brettspiele beförderten die soldatischen Tugenden und zeichneten auf ihren Spielplänen die politischen Landkarten neu, Puzzles und Kartenspiele belehrten über die nun geltende Auffassung von Geschichte und informierten auf ihren Bildtableaus über die neuen Helden und die aktuell Verbündeten. Auch die Firma Märklin passte ihr Sortiment zu Kriegsbeginn dem neuen Markt an: Die Spielwaren im Katalog für 1915 vermitteln detailliertes Wissen über das technisch superiore Waffenarsenal der Achsenmächte im Krieg zu Lande, in der Luft und zur See. Die Käufer und Käuferinnen konnten zwischen funktionstüchtigen Panzerzügen mit Uhrwerkbetrieb, Granatenwerfern im Liliputformat, Kriegsschiffen und armierten Zeppelinen wählen. Bellizistische Spiele dieser Art sind Echo wie Lautsprecher der Kriegsbegeisterung in Europa, sie erzählen ein dunkles, kaum bekanntes Kapitel aus der Faszinationsgeschichte des Krieges und aus der Geschichte der Spiele. Die Spielkultur evoziert nicht Kriegsbegeisterung, sondern bildet ein adäquates Überlaufgefäß für die bereits vorhandenen chauvinistischen Affekte. Bei der Gestaltung konnten die Verlage auf eine lange Tradition der Kriegsspiele zurückblicken. Die Zinnsoldaten und Ritterburgen, Holzschwerter und Gewehrattrappen bedienten seit Jahrhunderten puerile Fantasien, ebenso die unzähligen Brettspiele mit Kriegsthemen und frühe, sehr aufwendige Kriegssimulationen, die in der Offiziers- und Pagenausbildung des 18. Jahrhunderts Verwendung fanden und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in vereinfachter Form auf den rasch expandierenden Spielemarkt drängten. Zumeist wird bei der Gestaltung von Kriegsspielen auf die Regelwerke vorhandener Spiele zurückgegriffen. Der Konflikt wird allerdings auf narrativer und visueller Ebene konkretisiert und aktualisiert: Fiktive Kampfhandlungen und Orte werden in konkrete Schlachten von realen Armeen an realen Orten umgearbeitet. Die symbolische, vieldeutige bzw. abstrakte Darstellung eines Konflikts weicht einer mimetisch möglichst perfekten Simulation realen Geschehens, das heterotopische Element, das allen Spielen innewohnt, schwindet zusehends zugunsten bloßer Abbildung. Die Verengung auf narrativer Ebene wird dabei nicht selten von einer bis ins Monströse gesteigerten Erweiterung der Topografie und der Grammatik des Spiels begleitet, sodass die Erzählung vom Krieg und seinen Spektakeln die Spielbarkeit und Dy