Schlepping durch die Alpen von Sam Apple

Schlepping durch die Alpen
Ein etwas anderes Reisebuch
ISBN/EAN: 9783442738106
Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S., 11 s/w Illustr., s/w-Fotos
Einband: kartoniertes Buch
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?Dieses ?etwas andere Reisebuch? erzählt in leichtem Ton ein Stück österreichische Mentalitätsgeschichte. Es ist besonders politisch interessierten Menschen zu empfehlen, die gern wandern und dabei über das Leben nachdenken ? und die über sich selbst lachen können.? SPIEGEL spezial ?Wie auch immer er das anstellt ? Apple schafft es, Schafe, Judentum und seine persönliche Sinnsuche so selbstverständlich miteinander zu verknüpfen, dass es einem bald schon absurd erscheint, dass diese Themen jemals alleine für sich stehen konnten.? Johanna Adorján, FAZ ?Kunstvoll, amüsant, aber auch sehr ernsthaft. Sie werden Mühe haben, ein besseres Buch zu finden.? Library Journal
Sam Apple, geboren 1975, ist in Houston aufgewachsen. Er hat Artikel für die "New York Times", den "Jerusalem Report", "Forward" und viele weitere renommierte Zeitungen geschrieben. Für sein aufsehenerregendes Debüt bekam er in den USA und auch hierzuland
Wenn man mit einem jiddischen Volkssänger durch die Alpen zieht, der zufällig auch noch der letzte Wanderschäfer Österreichs ist, und wenn der einem aufträgt, hinter seiner Herde aus 625 Schafen herzugehen, kann es geschehen, dass die kleinen Lämmer müde werden und sich hinplumpsen lassen, um ein Nickerchen zu halten. Da man aufpassen muss, dass kein Schaf zurückbleibt, geht man also, den Hirtenstab fest in der rechten Faust, auf das schlafende Lämmchen zu und ruft: 'Hopp! Hopp!' Wie das klingen soll, weiß man inzwischen, denn man hat es beim Schäfer und seinen Söhnen oft genug gehört. Wenn ein Lamm mal fest eingeschlafen ist und überhaupt nicht reagiert, sieht man sich hastig um, ob keiner guckt. Wenn der Schäfer weit vorgelaufen ist und jiddische Weisen trällert, kniet man sich neben das schlafende Lamm und sagt: 'Na komm, du süßer Fratz. Wir müssen weiter.' Dann versucht man, dem Lamm den Kopf zu tätscheln. Meistens schreckt es noch vor der Berührung aus dem Schlaf und saust davon, um nach seiner Mutter zu suchen. Sobald das geschieht, stößt man ein paarmal ärgerlich 'Hopp! Hopp!' aus, als hätte man alles unter Kontrolle. Ist man schon etwas länger dabei, wird man auch mal übermütig. Obwohl einige Schafe hinterhertrödeln, geht man ohne sie weiter, da man inzwischen aus Erfahrung weiß, dass Schafe nicht gern allein gelassen werden. Beim Gehen macht man sich seine Gedanken über dieses instinktive Bedürfnis, bei der Herde zu bleiben, und plötzlich hat man sich in Überlegungen zur Evolution verloren. Es fällt einem wieder ein, dass wir selbst einst in Gruppen übers Land gezogen sind, ähnlich wie diese Schafe. Man überlegt, wie es wäre, wenn Schafe einzeln in winzigen Reihenhäusern leben müssten. Würden sie jemals glücklich werden? Würden sie sich beim Grasen in ihren Vorgärten grüßen? Dann wird es auf einmal eng, und man muss feststellen, dass man zu weit vorgelaufen und plötzlich von 625 dicht gedrängten Schafen eingekeilt ist. Man merkt, dass das Schaf bei all seinen Tugenden wenig Rücksicht auf menschliche Schienbeine oder Füße nimmt. Man wird zum Spielball wolliger Flanken, und fast verliert man das Gleichgewicht. Mit seinem Hirtenstab versucht man, sich Platz zu schaffen, aber es klappt nicht. Die Schafe behandeln einen - völlig zu Recht - wie einen blutigen Anfänger. Und gerade wenn man sich wieder gefangen hat, schießt ein struppiger grauer Hütehund vorbei und kläfft einen wütend an. Erst bleibt einem fast das Herz stehen, dann läuft man schnell mit den anderen weiter. Man begreift, wenn auch nur für diesen einen flüchtigen Augenblick, wie hart das Leben in der Herde sein kann. Nach diesem verstörenden Erlebnis bleibt man hinten. Beobachtet man von hier aus die Schafe, fällt einem auf, dass ihre Ohren beim Laufen schlackern und die Köpfe aussehen wie fliegende Vögel; dass ein Schaf in der Hockstellung, die es zum Wasserlassen einnimmt, einem Känguru ähnelt; dass sogar kastrierte Männchen gern nichts ahnende Weibchen besteigen, die die dämlichen Eunuchen wieder abschütteln, ohne ihr grimmiges Knabbern am Boden zu unterbrechen; wie sich der Magen des Schafes im Lauf des Tages immer mehr ausdehnt, bis sich bei Sonnenuntergang auf der linken Seite eine Beule von der Größe einer Gartenmelone gebildet hat. Hat man besonders gutes Weideland gefunden, das heißt, das Gras wächst üppig und nicht zu hoch (Schafe bevorzugen ihr Gras frisch), bleiben die Tiere lange an einem Ort. Dann hat man die Gelegenheit, seinen Rucksack abzunehmen und den Blick über schneebedeckte Gipfel und die endlosen Ausläufer der Alpen schweifen zu lassen, über Hügel, die so grün und friedlich sind, dass man der Versuchung widerstehen muss, sich ins Gras zu legen und hinunterrollen zu lassen. Man wendet sich den leise murmelnden, talwärts schlängelnden Bächlein zu, pflückt rote Blumen aus Felsspalten, und man denkt sich: Hm - vielleicht war's doch ein Fehler, nie eine Laufbahn als Schäfer erwogen zu haben. Doch irgendwann fällt der Blick nach unten, u