Ben in der Welt von Doris Lessing

Ben in der Welt
ISBN/EAN: 9783442727414
Sprache: Deutsch
Umfang: 208 S.
Einband: kartoniertes Buch
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Eine Parabel über das brisante Verhältnis von Normalität und Fremdheit - und auf das Schicksal von Liebe und Glück in einer unglücklichen, lieblosen Gesellschaft. Ben Lovatt, der destruktive Junge aus "Das fünfte Kind", ist erwachsen geworden. Doch er findet sich nicht zurecht in dieser Welt. Die Menschen bleiben ihm fremd, so wie er den anderen ein Fremder bleibt. Noch immer aggressiv und seinen Instinkten ausgeliefert, machen ihn seine Eigentümlichkeiten zu etwas provozierend Unbegreiflichem, zu einem ungeheuer einsamen Menschen und zum Spielball der Gesellschaft.
»Wie alt sind Sie?« »Achtzehn.« Die Antwort kam nicht sofort, denn Ben hatte Angst vor dem, was jetzt geschehen würde, dass der junge Mann hinter der Glasscheibe, die ihn vor den Besuchern schützte, seinen Kugelschreiber auf dem Formular absetzte, das er gerade ausfüllte, und mit einem Gesichtsausdruck, den Ben nur zu gut kannte, seinen Klienten musterte. Er gestattete sich, auf ungeduldige Weise belustigt zu sein, ohne dass dies den Grad von Spott erreichte. Er sah einen untersetzten, gedrungenen, kräftig gebauten Mann vor sich - er trug eine Jacke, die ihm zu groß war -, der mindestens vierzig sein musste. Und dieses Gesicht! Es war ein breites Gesicht mit sehr ausgeprägten Zügen, einem Mund, der zu einem Grinsen verzogen war - was kam dem denn eigentlich so witzig vor?-, einer breiten Nase mit bebenden Nasenflügeln, grünlichen Augen mit sandfarbenen Wimpern unter widerborstigen, sandfarbenen Brauen. Er trug einen kurzen, adretten, spitz geschnittenen Bart, der nicht zum Gesicht passte. Sein Haar war gelb und schien - wie sein Grinsen - auffallen und aufsässig wirken zu wollen, es fiel lang in einer Tolle nach vorn und in steifen Locken zu beiden Seiten herunter, als wolle es einen modischen Haarschnitt karikieren. Zu allem Überfluss sprach er mit wohlerzogener Stimme; machte er sich über ihn lustig? Der Beamte unterzog ihn dieser Minuten langen Musterung, weil er sich von Ben bis zum Grad der Verärgerung verunsichert fühlte. Er klang gereizt, als er schließlich sagte: »Sie können keine achtzehn sein. Na, los, wie alt sind Sie wirklich?« Ben schwieg. Er war wachsam, jede seiner Fasern, denn er wusste, dass Gefahr lauerte. Er wünschte, er wäre nicht hierher gekommen, wo sich die Wände um ihn schließen konnten. Er hörte auf die Geräusche von draußen, um sich zu vergewissern, dass alles normal war. Ein paar Tauben unterhielten sich in einer Platane auf dem Gehsteig, und er war bei ihnen, dachte daran, wie sie da saßen und Zweiglein mit rosa Krallen griffen, die er sich um seinen eigenen Finger schließen fühlen konnte; sie waren guter Dinge, mit der Sonne auf ihren Rücken. Hier drinnen gab es Geräusche, die er nicht verstehen konnte, bis er jedes einzelne von den anderen getrennt hatte. Unterdessen wartete der junge Mann vor ihm, in seiner Hand den Kugelschreiber, der zwischen seinen Fingern hin und her glitt. Ein Telefon klingelte direkt neben ihm. Zu seinen Seiten saßen mehrere junge Männer und Frauen auch mit dieser Glasscheibe vor sich. Manche benutzten Instrumente, die klickten und rasselten, manche starrten auf Bildschirme, auf denen Worte erschienen und wieder verschwanden. Jede dieser lärmenden Maschinen, das wusste Ben, war ihm gegenüber wahrscheinlich feindselig. Jetzt bewegte er sich leicht zur Seite, um den Spiegelungen der Glasscheibe zu entgehen, die ihn störten und ihn nicht genau diese Person sehen ließen, die böse auf ihn war. »Doch, ich bin achtzehn«, sagte er. Er wusste, dass das stimmte. Als er vor drei Wintern zu seiner Mutter gegangen war - er blieb nicht, weil sein verhasster Bruder Paul hereinkam -, hatte sie in großen Buchstaben auf ein Stück Karton geschrieben:   Dein Name ist Ben Lovatt.   Deine Mutter heißt Harriet Lovatt. Dein Vater heißt   David Lovatt.   Du hast vier Brüder und Schwestern, Luke, Helen,   Jane und Paul. Sie sind älter als du.   Du bist fünfzehn Jahre alt. Und auf der anderen Seite der Pappe hatte gestanden:   Du bist geboren am.   Du wohnst in. Dieses Stück Pappe hatte Ben so sehr mit verzweifelter Wut erfüllt, dass er es seiner Mutter wegnahm und aus dem Haus rannte. Als erstes kritzelte er über den Namen Paul. Dann über die Namen der anderen Geschwister. Dann, als die Pappe zu Boden fiel und beim Aufheben die Rückseite sehen ließ, kritzelte er mit seinem schwarzen Kugelschreiber über alle Worte, die dort standen und hinterließ nur ein wildes Durcheinander von Linien. Diese Zahl, fünfzehn, tauchte immer wieder in Fragen auf, die man ihm - so meinte er - stä
Literaturnobelpreisträgerin 2007